Ein Drittel der Ärzte wäre interessiert – wenn die Bedingungen stimmen
Jeder neunte Arzt hat bereits ein Kaufangebot bekommen
Ein Drittel der Ärzte wäre interessiert – aber nicht um jeden Preis
Kommentar: Das Thema ist brisant: Sollen Finanzinvestoren ins Gesundheitssystem einsteigen (dürfen)?
Die Debatte über private Investments im Gesundheitswesen hält an: Neben den Gesundheitsministern der Länder fordert auch der GKV-Spitzenverband strengere Vorgaben. „Bei Gründung und Betrieb eines MVZ darf es nicht zu Rosinenpickerei kommen. Die müssen das leisten, was die Patientinnen und Patienten brauchen und nicht einfach nur das, was für sie am Lukrativsten ist“, sagt Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstand beim GKV-Spitzenverband. Dennoch sieht sie in MVZ einen wertvollen Beitrag für die Versorgung. „Denn sie haben das Potential, mit geballter Kompetenz und kooperativer Zusammenarbeit verschiedener Ärztinnen und Ärzte, an einem Ort und ohne lange Wege, für die Patientinnen und Patienten da zu sein.“
In unserer aktuellen Fokusfrage haben wir bei den Ärzt:innen erhoben, ob sie schon einmal ein Angebot zum Praxiskauf erhalten und wie sie reagiert haben.
Jeder neunte Arzt hat bereits ein Kaufangebot bekommen
11,7 Prozent der niedergelassenen Ärzt:innen haben bereits ein Angebot zur Übernahme ihrer Praxis von einem Investor bekommen.
Besonders gefragt sind offenbar Facharztpraxen: Etwa jeder sechste Facharzt (17,1 Prozent) wurde schon von Investoren wegen einer Übernahme angesprochen. Deutlich geringer ist dagegen das Interesse an den Praxen Psychologischer Psychotherapeut:innen: Hier bekamen nur 4,0 Prozent ein entsprechendes Angebot.
Ein Drittel der Ärzte wäre interessiert – aber nicht um jeden Preis
Von den Ärzten, die bereits ein Angebot bekommen haben, zeigt sich gut ein Drittel aufgeschlossen für eine Praxisübernahme durch Investoren: 8,5 Prozent haben das ihnen vorliegende Angebot angenommen, weitere 25,5 Prozent hätten dies getan, wenn die Konditionen gestimmt hätten. 66,0 Prozent lehnten das Angebot ab.
Bezogen auf die Grundgesamtheit hat damit ein Prozent der niedergelassenen Ärzte ihre Praxis bereits an einen Investor verkauft.
Bei den Ärzt:innen, die noch kein Angebot erhalten haben, gaben sogar fast 40 Prozent an, prinzipiell interessiert zu sein – vorausgesetzt, dass die Konditionen stimmen. Dass das allerdings häufig nicht der Fall ist, zeigen sowohl die geringe Quote der tatsächlich angenommenen Angebote als auch zahlreiche Freitextantworten (Beispiel: "Die mir bekannten Angebote von Investoren decken den tatsächlichen Wert [der Praxis] nur zu einem erschreckend kleinen Teil ab.").
Ein Blick auf die nichtärztlichen Heilberufe: Vorwiegend erhalten Physiotherapie- und Ergotherapie-Praxen Angebote
Auch nichtärztliche Heilberufler:innen erhalten Übernahmeangebote von potenziellen Investoren - verglichen mit Ärzt:innen allerdings zu einem deutlich geringeren Prozentsatz.
Am interessantesten sind für Investoren offenbar die Bereiche Ergotherapie (8,8 Prozent) und Physiotherapie (8,7 Prozent).
Kommentar: Das Thema ist brisant: Sollen Finanzinvestoren ins Gesundheitssystem einsteigen (dürfen)?
Das grundsätzliche Prinzip ist aus vielen anderen Bereichen bestens bekannt: Durch mehr Kundennähe, geeignete Produkte und verbesserte Prozesse sollen der Umsatz gesteigert und die Kosten gesenkt werden, so dass trotz der Rendite für den Investoren insgesamt ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis erzielt wird. Das funktioniert regelmäßig in einem „normalen“ Markt, wie zahllose Beispiele belegen.
Doch Gesundheit ist kein gewöhnlicher Markt, der sich nur an wirtschaftlichen Regeln und Interessen ausrichtet. Entsprechend hitzig wird seit vielen Jahren über die beste Mischung von staatlichen Eingriffen und marktwirtschaftlichen Elementen diskutiert. Die einen sehen in privaten Investments eine Chance für das Gesundheitswesen durch prinzipiell positive Effekte wie eine verbesserte Kundenorientierung, mehr Qualität und den schnelleren Einsatz moderner Technik. Andere verweisen lautstark auf die Risiken – beispielsweise die Gefahr einer selektiven Versorgung, durch die sich eine Überversorgung bei lukrativen Bereichen und Eingriffen entwickle, während Regionen und medizinische Bereiche, die für Investoren strukturell uninteressant seien, entsprechend unzureichend abgedeckt würden. Und wieder andere lehnen Praxisverkäufe an Investoren grundsätzlich ab und sehen darin nicht weniger als den Untergang des hiesigen Gesundheitssystems.
Die Diskussionen rund um das Thema Praxisübernahmen durch Investoren werden uns sicher noch eine Weile begleiten – und das ist auch gut so, denn einen idealen Weg gibt es nicht. Finanz-Investoren sind ebenso wenig Heilsbringer wie die Praxis in Privatbesitz ein Garant für Leistung und Qualität ist. Und spätestens da, wo sich kein Nachfolger für eine Praxis finden lässt, ist ein Verkauf an einen Investor möglicherweise auch für die betroffenen Patienten eine bessere Lösung als eine komplette Schließung.
Die sinnvollste Lösung wird am Ende ein sorgsam abgewogener Mix aus marktlichen und staatlichen Elementen sein, der es ermöglicht, Ressourcen sinnvoll und wirtschaftlich zu nutzen, ohne sich dabei inhaltlich in die Therapieentscheidungen der Ärzte einzumischen. Aktuell fehlt jedoch die Möglichkeit, solche Konzepte lokal zu testen und einen Wettbewerb grundsätzlicher Ideen und deren Umsetzung zu erlauben. Die bestehenden rigiden und von quasi-staatlichen Institutionen verwalteten Strukturen erlauben Innovationen bislang nur sehr begrenzt. Wünschenswert wären lokale, unabhängige und vom Patienten her gedachte Formen der Medizin, um Alternativen zu bestehenden Versorgungsformen zu entwickeln – mit oder ohne Investoren.
Methodik & Rahmendaten
Erhebung: Quantitative Erhebung mithilfe eines Online-Fragebogens
Erhebungszeitraum: 1.- 8. März 2023
Sample: Für jede Berufsgruppe wurde eine repräsentative geschichtete Zufallsstichprobe angeschrieben. Befragt wurden insgesamt 10.000 niedergelassene Hausärzt:innen, Fachärzt:innen, Zahnärzt:innen und Psychologische Psychotherapeuten sowie 10.000 nichtärztliche Heilberufler:innen aus dem Strukturverzeichnis der Versorgung. Zusätzlich wurden 2.944 Leistungserbringer:innen befragt, die sich zuvor zu einer regelmäßigen Teilnahme an der Befragung bereiterklärt hatten.
Rücklauf: 1.661 valide Fragebögen (Rücklaufquote 7,2 Prozent)