Im Fokus: Ärzte sehen Prävention als Gemeinschaftsaufgabe

Vor allem Schulen, Patienten und Ärzte in der Verantwortung

Prävention beginnt mit der richtigen Information zur richtigen Zeit. In unserer Ad-hoc-Erhebung „Im Fokus“ haben wir Ärzte gefragt: Wie ist aus ihrer Sicht der Stand der Vorsorge in Deutschland? Wer müsste sich am meisten dafür engagieren? Und was müsste geschehen, um mehr Präventionsarbeit in den Praxen leisten zu können?

Die folgenden Ergebnisse stellen wir auf der Preventure in Bonn am 8. November 2024 vor.

Statements aus der Versorgungslandschaft

Dr. Johannes Nießen

Dr. Johannes Nießen

Kommissarischer Leiter der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Errichtungsbeauftragter des Bundesinstituts für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM)

Deutschland braucht mehr Prävention!

Prävention ist ungemein wichtig. Eine große Herausforderung dabei ist es, die gesamte Bevölkerung zu erreichen: Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene sowie ältere Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten müssen Zugang zu Gesundheitsinformation und Präventionsangeboten haben. Nur so kann Gesundheitskompetenz entwickelt werden.

Das BIPAM wird künftig das Wissen und Können der BZgA und des RKI bündeln, um durch die Förderung von Gesundheitskompetenz und Public Health die Lebensqualität und Lebenserwartung der Menschen zu steigern und Kosten im Gesundheits- und Sozialsystem zu reduzieren.

Maren Puttfarcken

Maren Puttfarcken

Leiterin der TK-Landesvertretung Hamburg

Hohe Nachfrage nach Gesundheitskursen

Im Jahr 2023 gaben die gesetzlichen Krankenkassen bundesweit zusammen insgesamt 8,4 Milliarden Euro für Prävention und Gesundheitsförderung aus. Gemeinsam mit anderen Akteuren engagiert sich die TK für die Gesundheit unserer Versicherten, etwa in den Bereichen Gesundheitsförderung und Prävention in Lebenswelten (z.B. Kita, Schule, Hochschule und Kommunen), der betrieblichen Gesundheitsförderung und der individuellen verhaltensbezogenen Prävention. Mit den zertifizierten Gesundheitskursen hat jeder Versicherte die Möglichkeit, etwas Gutes für sich zu tun: Allein bei der TK wurden sie im vergangenen Jahr rund 320.000-mal nachgefragt. Besonders beliebt waren Kurse zur Bewegung sowie zur Entspannung und Stressbewältigung.

Jan Reuter

Jan Reuter

Inhaber der Central-Apotheke Walldürn, Beirat im Landesapothekerverband Baden-Württemberg

So wird Prävention zur Selbstverständlichkeit

Stell dir vor, du kommst in die Apotheke – nicht nur für Medikamente, sondern um aktiv etwas für deine Gesundheit zu tun. Apotheken vor Ort sind mehr als nur eine Abgabestelle, sie sind Leuchttürme der Prävention. Ärzte leisten Großartiges, und gemeinsam können wir noch mehr erreichen. Wenn Apotheker und Ärzte als gleichwertige Partner zusammenarbeiten, wird Prävention zur Selbstverständlichkeit. Denn echte Veränderung geschieht nur, wenn wir gemeinsam handeln – für unsere Patienten und für eine gesündere Zukunft.

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Stand der Prävention in Deutschland aus Ärztesicht ungenügend

Mehr als die Hälfte der niedergelassenen Haus- und Fachärzte halten den aktuellen Stand der Prävention in Deutschland für schlecht (48,8 Prozent) oder sogar sehr schlecht (6,5 Prozent). Ein knappes Drittel hält den Stand für angemessen (30,2 Prozent). Nur jeder siebte Arzt betrachtet den derzeitigen Stand als gut (12,1 Prozent) oder sehr gut (2,5 Prozent).

Ärzte sehen Schulen und Patienten in der Verantwortung – und sich selbst

Wissen ist die beste Prävention - doch wer ist dafür verantwortlich, das Bewusstsein der Patienten dafür zu stärken? Ärzte sehen hier vor allem Schulen, Patienten und sich selbst in der Verantwortung: Jeweils mehr als 80 Prozent erwarten von diesen Gruppen einen sehr starken oder eher starken Beitrag zu dieser Aufgabe.

Auf Rang vier sehen Ärzte die Medien: 70,8 Prozent sind der Ansicht, dass diese einen starken oder sehr starken Beitrag leisten sollten, um bei Patienten das Bewusstsein für Prävention zu stärken. 65,7 Prozent sehen die Krankenkassen in der Verantwortung, 55,8 Prozent das Gesundheitsministerium.

Die geringste Verantwortung für die Förderung der Prävention sehen die Ärzte bei Arbeitgebern (50,1 Prozent) und Apothekern (43,2 Prozent). Allerdings zeigen die dennoch hohen Prozentwerte, dass Ärzte Prävention als Gemeinschaftsaufgabe aller beteiligten Gruppen ansehen.

Social Media als ungenutzte Chance?

Um Patienten für Prävention zu gewinnen, setzt das Gros der Ärzte auf klassische Wege: Sie sprechen Patienten an, wenn diese sie in der Praxis aufsuchen (87,9 Prozent), stellen Infomaterial im Wartezimmer bereit (65,0 Prozent) oder bieten Impfungen, Screenings und Disease-Management-Programme an (62,6 Prozent).

38,8 Prozent der Ärzte bieten IGeL-Leistungen an, um ihren Patienten zusätzliche Vorsorgemöglichkeiten zu bieten.

27,1 Prozent der Ärzte schulen ihr Praxisteam, um Patienten schon im Vorfeld auf Präventionsangebote aufmerksam zu machen.

Noch Luft nach oben gibt es bei Maßnahmen, die in den vergangenen Jahren neu eingeführt wurden: So nutzt nur jeder fünfte Arzt das KBV-Muster 36, mit dem Ärzte seit 2017 Präventionsleistungen empfehlen und Patienten diese bei ihrer Krankenkasse einreichen können (21,1 Prozent). Und nur 18,3 Prozent der Ärzte gaben an, DiGA aus dem Bereich Prävention zu verschreiben.

Das am wenigsten genutzte Instrument, um Patienten für Prävention zu gewinnen, ist Social Media – ein überraschendes Ergebnis, wenn man bedenkt, dass im vergangenen Jahr jeder Mensch in Deutschland im Durchschnitt 99 Minuten pro Tag in Sozialen Netzwerken verbracht hat.

Jeder zweite Arzt würde mehr tun – wenn er könnte

Die gute Nachricht: Mehr als die Hälfte der Ärzte würde gern mehr Präventionsarbeit leisten als bisher. Die schlechte: Sie tun es nicht. Und 43,6 Prozent der Ärzte sind gar nicht erst dazu bereit.

Hauptverantwortlich dafür sind drei Gründe:

  • Sieben von zehn Ärzten kritisieren, dass Präventionsleistungen nicht oder nur unzureichend vergütet werden (69,9 Prozent).
  • Zwei Drittel der Ärzte haben schlichtweg im Arbeitsalltag keine Zeit für zusätzliche Präventionsaufgaben (66,5 Prozent).
  • Und mehr als jeder zweite Arzt gibt an, dass zu viel Bürokratie ihn daran hindere (54,8 Prozent).

Andere Gründe wie mangelndes Interesse der Patienten, zu komplizierte Angebote oder Zweifel an der Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen spielen dagegen nur eine untergeordnete Rolle.

Das sagen die Ärzte dazu

Methodik & Rahmendaten

Erhebung: Repräsentative Erhebung mit einem Online-Fragebogen

Erhebungszeitraum: 3.–10. September 2024

Sample: Für jede Berufsgruppe wurde eine repräsentative geschichtete Zufallsstichprobe angeschrieben. Für die aktuelle Fokus-Frage erhielten insgesamt 6.000 niedergelassene Haus- und Fachärzte aus dem Strukturverzeichnis der Versorgung eine Einladung zur Befragung. Zusätzlich wurden 1.515 Haus- und Fachärzte angeschrieben, die regelmäßig an der Befragung teilnehmen.

Rücklauf: 454 valide Fragebögen (Rücklaufquote 6,0 Prozent). Die Ergebnisse sind repräsentativ mit einem Konfidenzniveau von 95% (Konfidenzintervall < ±5%).

Bildnachweise: Slider: Jan Reuter / TK-Landesvertretung Hamburg / Carsten Kobow im Auftrag der BZgA