Ärzte brauchen kurz vor der Einführung noch Unterstützung
- Fast jeder zweite Arzt fühlt sich unvorbereitet
- Erwartungen an die ePA eher verhalten
- Kritik an komplizierten Zugriffsberechtigungen und hohen Kosten
- Apotheker versprechen sich mehr von der ePA als Ärzte
- Gast-Kommentar von Reza Mazhari: Misstrauen der Ärzte ist verständlich – und muss aufgefangen werden
Mitte Januar 2025 startet die elektronische Patientenakte (ePA) für gesetzlich Versicherte – zunächst in zwei Modellregionen und anschließend bundesweit. Wir haben nachgefragt: Wie gut fühlen sich niedergelassene Ärzte und Apotheker auf die ePA vorbereitet? Und wo gibt es noch offene Fragen oder Hemmnisse?
Kurz vor dem Start fühlt sich fast jeder zweite Arzt unvorbereitet
Die ePA kommt, aber längst nicht alle niedergelassenen Ärzte fühlen sich dafür bereit: Fast jeder Zweite gibt an, nur geringe oder gar keine Vorkenntnisse zu haben und umfassende Schulungen oder Informationen zu benötigen. Lediglich 9,0 Prozent schätzen sich als gut vertraut und sicher im Umgang ein. Weitere 42,5 Prozent verfügen über Grundkenntnisse, fühlen sich jedoch unsicher.
Vor allem bei Haftungsfragen, Zugriffsberechtigungen und der Datenübertragung in die ePA fühlen sich rund 60 Prozent der Ärzte noch nicht ausreichend informiert. 56,7 Prozent ist das Vorgehen bei Internet-Problemen nicht klar, und jeder zweite Arzt gibt an, Informationen für die Patientenaufklärung zu benötigen. Lediglich 15,5 Prozent der Ärzte brauchen keine weiteren Informationen.
Als hilfreiche Informationsquellen nannten die befragten Ärzte am häufigsten Bundesverbände und Fachgesellschaften (27,8 Prozent), die Kassenärztliche Bundesvereinigung (27,7 Prozent) sowie Softwareanbieter und Dienstleister (23,1 Prozent).
Erwartungen an die ePA eher verhalten
Als größten Vorteil der ePA sehen Ärzte die schnellere Verfügbarkeit von Patienteninformationen: 38,3 Prozent von ihnen gaben an, dies als großen oder sehr großen Nutzen zu sehen.
Bei allen weiteren aufgeführten Bereichen liegt der Anteil der Ärzte, die nur einen geringen oder sehr geringen Nutzen sehen, jeweils deutlich höher als der Anteil der Ärzte, die einen großen oder sehr großen Nutzen sehen: So erwarten beispielsweise 29,0 Prozent eine erfolgreiche Vermeidung von doppelten bzw. unnötigen Untersuchungen oder Behandlungen durch die ePA, während 44,3 Prozent sie hierfür als wenig nützlich ansehen.
Die größten Zweifel gibt es bei der Verbesserung der Patientensicherheit: Zwei Drittel der Ärzte glauben, dass die ePA hier nur einen geringen oder sehr geringen Nutzen haben wird. Dagegen glauben nur 9,3 Prozent der Ärzte an einen positiven Effekt.
Kritik an komplizierten Zugriffsberechtigungen und hohen Kosten
Bei der Frage nach möglichen Hemmnissen und Hürden belegen komplizierte Zugriffsberechtigungen klar den ersten Platz (68,0 Prozent). Auf Rang 2 folgt das Argument der hohen Kosten (58,8 Prozent). So schreibt beispielsweise ein Arzt in einer Freitextantwort:
Erhebliche Mehrleistung, ich brauche dazu eine Mitarbeiterin (+ Vertretung im Krankheitsfall) und noch einen PC-Arbeitsplatz. Keine Vergütung = ich mache es nicht.
Auf dem dritten Platz rangiert die Einschätzung, dass die ePA wenig Nutzen bringe. Genannt wurden in den Freitexten vor allem praktisch-organisatorische Gründe sowie die Tatsache, dass Patienten über die Inhalte entscheiden:
Völlig unstrukturiert 100 Seiten völlig durcheinander, wer soll das wann lesen. Aber ich hafte. Keine Suchalgorithmen für gezielte Befunde. Wie soll es wirklich funktionieren?
Unübersichtlichkeit in der zu erwartenden Datenflut - die Information ist da, aber sie richtig zu finden wird sehr schwer.
Der Nutzen der ePA ist gering, weil diese patientengeführt ist. Der Patient darf Dokumente verbergen oder löschen, wenn diese seiner Ansicht nach, nachteilig sind.
Der Patient darf als Laie niemals selektieren und darüber bestimmen, wer auf was Zugriff bekommen darf. Vorenthaltene Informationen können ebenso zu fatalen Fehlbehandlungen und/oder unnötigen Untersuchungen führen wie falsche Informationen. Das wird aber genau bei denjenigen die Regel sein, die ohnehin schon ein problematisches Arztverhalten haben und Ressourcen im Gesundheitswesen verschleudern.
Jeweils gut die Hälfte der Ärzte sieht Misstrauen oder Ablehnung bei Patienten bzw. unverständliche Informationen oder Anleitungen als problematisch an (jeweils 52,7 Prozent).
Für knapp die Hälfte der Ärzte ist Personalmangel ein mögliches Hemmnis (47,5 Prozent), für gut ein Drittel eine schlechte Internetverbindung (36,6 Prozent) und für ein Viertel eine unzureichende Hardware-Ausstattung (25,5 Prozent).
In den Freitexten zeigt sich zudem eine erhebliche Sorge der Ärzte um die Datensicherheit:
Hochbedenkliche Gefährdung der Privatsphäre der Patienten! Alles, was elektronisch ist (noch dazu auf einer zentralen Cloud gespeichert!) kann gehackt werden! Zugriffe könnten nicht sicher gesteuert werden. Soll die Zahnarzthelferin vom 3. Schwangerschaftsabbruch erfahren? Der Betriebsarzt von der Depression/Borderlinestörung/Sucht/Schizophrenie etc.pp in der Vorgeschichte? All dies kann massivste schädigende Auswirkungen auf das private und berufliche Leben des einzelnen haben.
Die Patienten wurden nicht wie vorgesehen aufgeklärt - aktuell kommen viele mit den "Aufkärungsschreiben" der Kasse in die Praxis, weil sie sie nicht verstehen (unabhängig davon dass in den Briefen vieles nicht steht, über das aufgeklärt werden müsste, z.B. Zugriff von außen zur Forschung möglich…)
Keine Anonymisierung der Daten für die Forschung, sondern nur eine Pseudonymisierung, die leicht Rückschlüsse auf die Patientenindentität zulässt.
Patienten mit stigmatisierten Diagnosen/Erkrankungen werden wieder die Behandlung vermeiden, sobald erste Misbrauchsfälle (Datenverlust bei GKV durch Hacker) öffentlich werden.
Der für Psychotherapie absolut notwendige geschützte Raum aus dem keine Daten über den Patienten herausfließen dürfen wird aufgehoben. Dadurch wird die Vertrauensbeziehung unmöglich, die für eine funktionierende psychotherapeutische Behandlung notwendig ist.
Apotheker versprechen sich mehr von der ePA als Ärzte
Für Apotheker in den Modellregionen startet ebenfalls ab Januar 2025 die verpflichtende Nutzung der ePA. Insgesamt sehen sich die Apotheker ähnlich vorbereitet wie die niedergelassenen Ärzte: 46,9 Prozent haben noch wenig bis keine Vorkenntnisse. Ebenso viele gaben an, Grundkenntnisse zu besitzen, aber noch unsicher zu sein. Gut vertraut fühlen sich lediglich 6,3 Prozent der Apotheker.
Deutliche Unterschiede gibt es jedoch bei der Erwartungshaltung: Im Vergleich zu den Ärzten schätzen die Apotheker den Nutzen der ePA deutlich höher ein. So sehen beispielsweise 53,9 Prozent der Apotheker die schnellere Verfügbarkeit von Patienteninformationen als großen Nutzen an, bei den Ärzten dagegen sind es nur 38,1 Prozent.
Gast-Kommentar: Misstrauen der Ärzte ist verständlich – und muss aufgefangen werden
Die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) ab 2025 markiert einen entscheidenden Wendepunkt in der Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens. Sie hat das Potenzial, die Qualität der Patientenversorgung zu verbessern und die Effizienz eines stark belasteten Systems zu steigern. Besonders die zentrale Speicherung medizinischer Daten ermöglicht einen schnellen Zugriff auf relevante Informationen. Dadurch lassen sich Fehlentscheidungen reduzieren, Doppeluntersuchungen vermeiden und wertvolle Ressourcen der Leistungserbringer schonen – ein entscheidender Faktor bei komplexen Krankheitsbildern und der zukünftigen Vision einer modernen Versorgung: digital vor ambulant vor stationär.
Auch auf systemischer Ebene kann die ePA zur Entlastung beitragen, indem ineffiziente Prozesse digitalisiert werden. Als Gesundheitswissenschaftler sehe ich persönlich ein enormes Potenzial in der Präventionsmedizin: Die strukturierte Sammlung und Analyse von Gesundheitsdaten ermöglicht es, Krankheiten früher zu erkennen, individuelle Risikoprofile zu erstellen und maßgeschneiderte Präventionsstrategien zu entwickeln. Die ePA könnte damit nicht nur Heilung fördern, sondern auch Krankheiten verhindern.
Angesichts früherer Herausforderungen mit der Telematikinfrastruktur ist das Misstrauen der Ärzteschaft natürlich verständlich. Um das volle Potenzial der ePA auszuschöpfen und die Bedenken zu adressieren, ist eine sorgfältige Implementierung also unerlässlich. Unsere Aufgabe seitens der Industrie wird es sein, eine Kombination aus stabiler Technik, benutzerfreundlichem Design und hohen Sicherheitsstandards anzubieten. Leistungserbringer benötigen Systeme, die ePA-Prozesse übersichtlich abbilden und relevante Informationen schnell zugänglich machen – ohne unnötige Navigation oder zusätzlichen Aufwand. Die Integration der ePA in PVS muss daher schnell, unkompliziert und aufwandsarm erfolgen.
Die ePA kann aber nur gelingen, wenn alle Beteiligten zusammenarbeiten und das "Blaming Game" aufhört. Die gematik als zentrale Koordinationsstelle, die Industrie und die Selbstverwaltung treiben das Projekt bereits erfolgreich und intensiv voran – jede Gruppe leistet einen entscheidenden Beitrag, um die ePA als zukunftsweisendes Werkzeug im Gesundheitswesen zu etablieren.
Die Umsetzung der ePA ist eine politisch und emotional aufgeladene Aufgabe mit vielen Akteuren und Interessen. Es erfordert eine klare Vision und das Vertrauen aller Beteiligten, um diese Herausforderung zu meistern. Wenn dies gelingt, kann die ePA eine der größten Hoffnungen für standardisierte Prozesse und die digitale Transformation des deutschen Gesundheitswesens werden. Wichtig bleibt es, die Anwenderinnen und Anwender – Patientinnen, Patienten und medizinisches Fachpersonal – weiter stärker einzubinden. Ihre Perspektiven sind der Schlüssel, um sicherzustellen, dass die ePA nicht nur technisch überzeugt, sondern auch im Alltag Akzeptanz findet. Offenheit, klare Kommunikation und gezielte Rückmeldungen helfen dabei.
Methodik & Rahmendaten
Erhebung: Repräsentative Erhebung mit einem Online-Fragebogen
Erhebungszeitraum: 13.–20. November 2024
Sample: Für jede Berufsgruppe wurde eine repräsentative geschichtete Zufallsstichprobe angeschrieben. Für die aktuelle Fokus-Frage erhielten insgesamt 10.000 niedergelassene Ärzte sowie 3.000 Apotheker aus dem Strukturverzeichnis der Versorgung eine Einladung zur Befragung. Zusätzlich wurden 2.867 Ärzte und Apotheker angeschrieben, die regelmäßig an der Befragung teilnehmen.
Rücklauf: 835 valide Fragebögen (Rücklaufquote 5,3 Prozent). Die Ergebnisse sind repräsentativ mit einem Konfidenzniveau von 99% (Konfidenzintervall < ±5%).
Bildquelle: Titelbild: Adobe Stock 1037063066, Gastkommentar: Reza Mazhari