Ein neues, besseres Leben für Kinder und Jugendliche ohne Stigmatisierung und Ausgrenzung: Das ist der Antrieb für das eherenamtliche Engagement von Dr. med. Annett Kleinschmidt, Fachärztin für Allgemeinchirurgie und für Plastische und Ästhetische Chirurgie in Berlin. Seit über zehn Jahren operiert sie mit ihrem Team in Paraguay vor allem Kinder, die beispielsweise Gesichtsfehlbildungen haben, und haben seitdem fast 600 Operationen ehrenamtlich durchgeführt. Für ihren Einsatz erhält Frau Dr. Kleinschmidt die Auszeichnung Dr. Pro Bono.
Frau Dr. Kleinschmidt, Sie engagieren sich auch neben Ihrem Praxisalltag ehrenamtlich für Bedürftige. Seit wann sind Sie im Ehrenamt tätig?
2009 gründete ich mit zwei Fachkollegen unser eigenes Projekt, Interplast Berlin Paraguay. Alle zwei Jahre fahren wir mit einem elfköpfigen Team aus Ärzten und Pflegern für zwei Wochen nach Paraguay und operieren dort Kinder und Jugendliche ohne Krankenversicherung.
Tätig für ehrenamtliche Projekte bin ich aber bereits seit dem Studium. Damals engagierte ich mich in den Semesterferien bei Projekten der WHO in China und bei einem Homelandprojekt in Südafrika. Nach Abschluss des Studiums betreute ich bei Interplast wiederholt ein ehrenamtliches Projekt im Verbrennungszentrum Bischkek in Kirgisien mit.
Wie setzen Sie sich für das Gemeinwohl ein?
In unserem zweiwöchigen „Urlaub“ operieren wir jeweils 80 bis 90 Kinder und auch einige Erwachsene, die sonst für ihr Leben stigmatisiert wären. Hinzu kommen rund 300 Visiten. Das ist das Resultat aus viel Vorarbeit, die jeweils 6 Monate vorher beginnt: Teamaufstellung, Planung der Materialien, Koordination der Patienten, Information der Kontaktstellen in Paraguay. Kontinuierlich findet zudem die komplette Spendenakquise der Projektgelder durch mein Team und mich statt.
Was tun Sie genau? Wen unterstützen Sie? Und was ist das für ein Projekt?
Wir kooperieren mit einer Klinik in Presidente el Franco am Rande des Dschungels von Paraguay an der Grenze zu Brasilien. Dort behandeln wir vor allem Kinder, aber auch einige Erwachsene, mit schweren Gesichtsfehlbildungen, Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalten, Handfehlbildungen, schweren Verbrennungsnarben oder Tumoren der Haut und des Kopfes. Durch unseren Einsatz eröffnen wir ihnen ein neues, besseres Leben ohne Stigmatisierung und Ausgrenzung.
Bereisen Sie beispielsweise auch Entwicklungsländer und bilden Ärzte vor Ort aus?
Unser Einsatz ist nicht auf die zwei Wochen in Paraguay begrenzt. Kontinuierlich stehen wir in Kontakt mit den Ärzten und dem Pflegepersonal vor Ort, bilden diese aus und sind auch Ansprechpartner bei schwierigen Eingriffen oder Nachsorgen. Vor allem bei der Entwicklung der Hygienestandards in unserem kleinen Krankenhaus am Rande des Dschungels konnten wir Meilensteine mit dem dortigen Pflegepersonal versetzen.
Besonders stolz sind wir darauf, dass wir in der barackenartigen Klinik zwei verhältnismäßig gute und vor allem steril ausgestattete Operationssäle aufbauen konnten. Im Laufe des Projektes wurde die Kapazität der Klinik von 8 auf 62 Betten erweitert. Mittlerweile kommen die Patienten von weit her angereist, um sich dort behandeln zu lassen.
Warum engagieren Sie sich?
Ich bin Ärztin geworden, um Menschen zu helfen. Den Wunsch hatte ich bereits als vierjährige. Die Menschen in Paraguay haben das gleiche Anrecht auf eine gute medizinische Behandlung wie die Patienten in meiner Praxis in Berlin Charlottenburg. Aber, was hier selbstverständlich ist und von den Krankenkassen getragen wird, wird dort nicht behandelt. Mit unseren Operationen eröffnen wir jedes Mal 80 bis 90 Kindern und einigen Erwachsenen ein neues, besseres Leben. Die Dankbarkeit und widererwachte Lebensfreude der kleinen Patienten und ihrer Familien zu erleben, ist unbeschreiblich. Sie schenken uns damit so viel Freude zurück. Nach jedem Einsatz sind wir erfüllt und glücklich. Und wissen, warum wir unseren Beruf gewählt haben.
Fühlen Sie sich als Ärztin verpflichtet, sich auch in Ihrer Freizeit für bedürftige Menschen einzusetzen?
Es ist mir ein Bedürfnis. Verpflichtet bin ich nicht.
Wie ist Ihr Eindruck: Engagieren sich viele Kollegen ehrenamtlich? Und wo tauschen Sie sich darüber aus?
Es gibt durchaus einige Kollegen, die sich im größeren oder kleineren engagieren, aber unser Job ist natürlich auch ohne ehrenamtliches Engagement nicht 9 to 5. Ich tausche mich in erster Linie mit unserer elfköpfigen Gruppe aus, die aus hervorragenden Spezialisten und höchstkompetenten, warmherzigen Pflegern besteht. Wir sind ein tolles Team!
Planen Sie in Zukunft noch andere ehrenamtliche Projekte?
Wenn es nötig ist, packe ich mit an. Gerade stecken wir in den letzten Zügen unseres Ukraine-Hilfsprojekts. Bisher konnten wir medizinische Hilfsmaterialien und Ausrüstung im Wert von knapp 200.000 Euro sowie ein Löschfahrzeug bedarfsgerecht und schnell ins Kriegsgebiet bringen. Gestartet haben wir einen Tag nach Kriegsbeginn und waren vor allen öffentlichen Hilfen und großen Organisationen mit dringend benötigter Krankenhausausstattung vor Ort.
Auch beim ehrenamtlichen Impfen gegen Covid 19 haben mein Docure-Team und ich unsere freien Freitage geopfert und mehrere Monate Spritzen gesetzt und VIELE Dokumente ausgefüllt. Der bürokratische Aufwand war für uns als Praxis für ästhetische und plastische Chirurgie, die normalerwiese nicht impft, wirklich immens.
Nun sind wir seit dem 5. November wieder in Paraguay! Darauf haben wir uns schon sehr lange gefreut…
Beitragsbild: Privatbild