Im Fokus 2. Quartal 2024 : Ärzte für Kontaktpauschale bei Facharztbesuchen ohne Überweisung

Hamburg, 15. Juli 2024 – Überfüllte Wartezimmer, auf Monate ausgebuchte Termine und Aufnahmestopps: Ärzte in der ambulanten Versorgung schlagen schon seit längerer Zeit Alarm und warnen vor einem Praxenkollaps. Welche Maßnahmen Haus- und Fachärzte dagegen ergreifen würden, hat die Stiftung Gesundheit in ihrer Befragungsreihe „Im Fokus“ untersucht und die Ergebnisse in ihrem Stiftungsbrief vorgestellt.

Wer ohne Überweisung zum Facharzt geht, soll zahlen

Am meisten Zuspruch findet die Einführung einer Kontaktpauschale für Patienten, die ohne Überweisung direkt einen Facharzt aufsuchen: Das halten fast zwei Drittel der Ärzte für sinnvoll. Zudem spricht sich mehr als die Hälfte für Bonusmodelle aus, die Patienten als Anreiz dienen, sich freiwillig von einem Primärarzt bzw. Stammarzt steuern zu lassen. „Daraus würde sich automatisch eine hausarztzentrierte Versorgung ergeben, ohne dass spezielle Programme oder Verträge nötig wären“, erläutert Hausarzt und Digital-Health-Pionier Stefan Spieren, der die Ergebnisse der Befragung kommentiert hat.

Stefan Spieren MBA, Hausarzt und Digital Health Pionier aus Wenden

Verbindliche HZV nur in der Hälfte der Praxen problemlos umsetzbar

Die Einführung einer verbindlichen Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) dagegen würde jeden zweiten Hausarzt vor große Herausforderungen stellen: Nur die Hälfte von ihnen gab an, dass dies in ihrer Praxis ohne weiteres umsetzbar sei. Knapp ein Viertel der Ärzte sieht einen erheblichen Mehraufwand, und für 15,5 Prozent wäre diese Maßnahme gar nicht zu realisieren, da die Praxis ohnehin schon überlastet sei.

Skepsis gegenüber neuen Möglichkeiten

Wenig Zuspruch fand der Vorschlag, Künstliche Intelligenz zur Ersteinschätzung zu nutzen: Fast 40 Prozent halten dies für nicht sinnvoll, ein Drittel gibt an, dies nicht einschätzen zu können. „Ärzte blicken noch skeptisch auf moderne Vorschläge wie den Einsatz von KI-gestützten Anlaufstellen, Voicebots oder Chatbots“, berichtet Spieren. Dahinter stehe möglicherweise die Sorge um die Abwertung der Kompetenzen. „Tatsächlich aber könnten solche Systeme mehr Zeit für persönliche Patientenkontakte schaffen, indem sie Routineaufgaben übernehmen: Jetzt könnte der Moment sein, um einen neuen Blickwinkel einzunehmen.“

Entlastung für den Notfallsektor: ILS, INZ und Gebühren für Notfallbehandlungen

Um die ebenfalls überlaufenen Notfallpraxen bzw. Notaufnahmen in Krankenhäusern zu entlasten, befürworten Haus- und Fachärzte die geplante Einrichtung von integrierten Leitstellen (ILS) und integrierten Notfallzentren an Krankenhäusern (INZ): Rund drei Viertel halten diese Maßnahmen für sinnvoll. Allerdings sei wichtig zu klären, wer diese Einrichtungen besetzen solle, so Spieren: „Niedergelassene Ärzte können diese Aufgaben nicht zusätzlich zu ihrer normalen Praxistätigkeit übernehmen.“

70,5 Prozent der Ärzte sprechen sich außerdem für eine Gebühr für die Behandlung in Notaufnahmen oder Notfall-Praxen aus: „Das wäre eine sinnvolle erste Maßnahme, um ein Umdenken in der Bevölkerung zu fördern – insbesondere für vermeidbare und nicht notwendige Kontakte“, so Spieren. „Wichtig ist aber vor allem, überhaupt zu handeln, damit die Situation für alle Beteiligten in absehbarer Zeit endlich wieder erträglich wird.“

Über die Ad-hoc-Befragungsreihe „Im Fokus“ 

Seit Anfang 2022 befragt die Stiftung Gesundheit einmal im Quartal die Leistungserbringer in der ambulanten Versorgung – je nach Thema ärztliche und/oder nichtärztliche – zu einem aktuellen Fokusthema. An der Befragung im 2. Quartal 2024 nahmen 473 Haus- und Fachärzte teil.

Über die Stiftung Gesundheit

Wissen ist die beste Medizin – angespornt von diesem Gedanken setzt sich die Stiftung Gesundheit seit mehr als 25 Jahren für Transparenz ein und bietet Verbrauchern praktische Orientierungshilfe. Neben ihren satzungsgemäßen Aufgaben führt die Stiftung kontinuierlich Studien durch. Als Basis für zahlreiche Services dient das Strukturverzeichnis der medizinischen Versorgung.

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