Status quo 2023: Barrierefreiheit in ambulanten Arztpraxen

Stufenlose Zugänge, Orientierungshilfen, Gebärdensprache & Co nicht flächendeckend vorhanden

Bundesweit bietet jede zweite Praxis mindestens eine Vorkehrung zur Barrierefreiheit

Die gute Nachricht: In Deutschland verfügen rund 87.000 ambulante Arztpraxen und damit fast die Hälfte (48,2 Prozent) über mindestens eine Vorkehrung, die Barrieren abbaut oder vermeidet. Der Haken: Die meisten dieser Praxen sind nicht vollständig barrierefrei – zumindest nicht für alle betroffenen Gruppen. So liegt der Anteil der Praxen, die Kriterien für Menschen mit eingeschränkter Mobilität erfüllen, mit 43,9 Prozent am höchsten. 20,0 Prozent der Arztpraxen sind auf Menschen mit Hörbehinderung eingerichtet. Menschen mit Sehbehinderung finden in 8,2 Prozent Praxen entsprechende Vorkehrungen, Menschen mit kognitiven Einschränkungen nur in 1,5 Prozent der Praxen.

Umso wichtiger ist es, dass Betroffene gezielt nach Praxen suchen können, die genau die benötigten Hilfen anbieten – in der Arzt-Auskunft und bei interessierten Lizenzpartnern wie dem Portal www.einfach-teilhaben.de des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS).

Berlin, Sachsen, Brandenburg sind die Top 3 Bundesländer

Im Vergleich der Bundesländer liegt Berlin ganz vorn: In der Hauptstadt ist der Anteil der Praxen, die mindestens ein Kriterium der Barrierefreiheit erfüllen, mit 57,0 Prozent am höchsten. Auf Platz 2 und 3 folgen Sachsen (55,5 Prozent) und Brandenburg (54,9 Prozent). Verbesserungsbedarf zeigt sich dagegen in Bremen (40,3 Prozent), Rheinland-Pfalz (39,8 Prozent) und Bayern (38,8 Prozent).

Ein differenzierter Blick in die verschiedenen Kategorien

Vorkehrungen für Menschen mit eingeschränkter Mobilität: Knapp über die Hälfte der Praxen in Brandenburg (53,1 Prozent), Baden-Württemberg (51,9 Prozent) und Berlin (50,7 Prozent) treffen Vorkehrungen für Menschen mit eingeschränkter Mobilität und sind damit Spitzenreiter unter den Bundesländern. Mit knapp einem Drittel sind Bremen, Bayern, Rheinland-Pfalz die Schlusslichter.

Zu dieser Kategorie zählen folgende Einzelkriterien:

Behindertenparkplätze, ebenerdig oder Aufzug vorhanden, stufenfreier Zugang, Aufzug ist rollstuhlgerecht, Aufzug ist barrierefrei, Stühle/Liegen verstellbar, Praxis ist rollstuhlgerecht, WC ist bedingt barrierefrei, WC ist barrierefrei

Vorkehrungen für Menschen mit Hörbehinderung: Hier liegt Sachsen ganz vorn: Gut ein Drittel (35,2 Prozent) der dortigen Praxen verfügt über Barrierefreiheitsvorkehrungen für Menschen mit Hörbehinderung. Besonders schwierig wird die Arztsuche für Betroffene in Mecklenburg-Vorpommern: Dort sind nur 4,9 Prozent der Praxen auf ihre Bedarfe eingestellt.

Zu dieser Kategorie zählen folgende Einzelkriterien:

Aufzug ist barrierefrei, Gebärdensprache, Termin per Fax, Terminvergabe: online, induktive Höranlagen

Vorkehrungen mit Menschen mit Sehbehinderung: Spitzenreiter ist auch hier Sachsen mit 35,2 Prozent. Auf dem letzten Platz rangiert das Nachbar-Bundesland Sachsen-Anhalt mit einem Anteil von nur 1,9 Prozent.

Zu dieser Kategorie zählen folgende Einzelkriterien:

Aufzug ist barrierefrei, Orientierungshilfen für Sehbehinderte

Vorkehrungen für Menschen mit kognitiven Einschränkungen: In dieser Barrierefreiheitskategorie haben nur wenige Praxen Vorkehrungen getroffen und stellen etwa Informationsmaterial in Leichter Sprache bereit. Den höchsten Anteil bietet Hessen mit 4,5 Prozent, den niedrigsten Bremen und Sachsen-Anhalt mit jeweils 0,6 Prozent.

Zu dieser Kategorie zählen folgende Einzelkriterien:

Informationsmaterial in leichter Sprache, Website in leichter Sprache

So sieht es in Ihrem Landkreis aus

Die interaktive Karte bildet den Anteil der Praxen mit Vorkehrungen der Barrierefreiheit auf Landkreis-Ebene ab. Hält man den Mauszeiger über einen Landkreis, werden zusätzlich die absoluten Zahlen der dort vorhandenen Praxen für die einzelnen Kategorien angezeigt.

Kommentar: Mehr Mobilität und Orientierung für alle

Alexandra Köhler, Vorsitzende der Stiftung Gesundheit Fördergemeinschaft.

Barrierefreiheit in Arztpraxen ist ein wichtiger Faktor für die Inklusion: Sie ermöglicht es Menschen mit Behinderungen, sich eigenständig um ihre Gesundheit zu kümmern und Arztbesuche ohne Hürden und fremde Hilfe zu bewältigen – so wie es die Behindertenrechtkonvention vorschreibt. Und in vielen Fällen profitieren auch andere Gruppen von Vorkehrungen wie einem stufenlosen Zugang, zum Beispiel Eltern mit Kinderwagen oder Menschen, die gerade mit Gipsbein und Krücken unterwegs sind.

Der Begriff Barrierefreiheit wird zwar meist mit „rollstuhltauglich“ assoziiert, umfasst aber weitaus mehr: Menschen mit einer Seh- oder Hörbehinderung sind beim Arztbesuch auf spezielle Orientierungshilfen angewiesen, zum Beispiel ertastbare Beschriftungen oder induktive Höranlagen. Und Menschen mit kognitiven Einschränkungen benötigen Informationen in Leichter Sprache, die sie gut erfassen und verstehen können.

Das „Projekt Barrierefreie Praxis“ hat die Stiftung Gesundheit Fördergemeinschaft 2009 ins Leben gerufen und fördert dieses. Seitdem erhebt die Stiftung Gesundheit kontinuierlich und differenziert, welche Hilfen in welchen Arztpraxen der ambulanten Versorgung zur Verfügung stehen. Anfangs mit jährlichen Befragungen, mittlerweile können Ärzte der Stiftung Veränderungen und neue Vorkehrungen jederzeit über ihr Arztprofil in der Arzt-Auskunft angeben. Vom Projektstart bis jetzt ist kein Trend spürbar, dass mehr Arztpraxen barrierefrei für jeden sind. Hier ist also noch Luft nach oben, Barrieren abzubauen, bessere Zugangsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen zu schaffen und sie so noch besser in die Patientenversorgung zu integrieren. Wir bleiben an dem Thema dran.

Methodik & Rahmendaten

Erhebung: Analyse der Barrierefreiheitsangaben aus dem Strukturverzeichnis der Versorgung

Stand: Mai 2023

Grundgesamtheit: Berücksichtigt wurden alle Praxen und MVZ von Ärzt:innen, Zahnärzt:innen und Psychologischen Psychotherapeut:innen, die zum Zeitpunkt der Analyse in der ambulanten Patientenversorgung tätig waren. Die Angaben zu den Vorkehrungen der Barrierefreiheit stammen aus den seit 2009 erhobenen Rückmeldungen der Praxen.