Könnten Apotheken volle Arztpraxen entlasten?

Apotheker würden gern mehr tun – von Medikamentenabgabe ohne Rezept bis zu Präventionsangeboten

Apotheker verfügen über eine hohe Kompetenz in der Gesundheitsberatung. Angesichts der anhaltenden Diskussionen über überlastete Praxen und der vor kurzem erweiterten Handlungskompetenzen von Apotheken in England haben wir in unserer Ad-hoc-Erhebung „Im Fokus“ gefragt: Könnten Apotheker auch hierzulande dazu beitragen, Ärzte zu entlasten? Und wenn ja, in welchen Bereichen?

Mehrheit der Apotheker hält Erweiterung des Handlungsspielraums grundsätzlich für sinnvoll

Grundsätzlich sind fast 60 Prozent der Apotheker der Ansicht, dass sie bei bestimmten fest definierten Krankheiten Diagnosen auch ohne Arztbesuch stellen und verschreibungspflichtige Medikamente herausgeben dürfen sollten. In England ist dies seit Ende Januar möglich bei Nasennebenhöhlenentzündungen, Hals- und Ohrenschmerzen, infizierten Insektenstiche, Hautausschlag, Gürtelrose und unkomplizierten Harnwegsinfekten bei Frauen unter 65 Jahren.

37,5 Prozent der Apotheker befürworten eine solche Regelung auch hierzulande und könnten sie umsetzen. Weitere 21,2 Prozent sind ebenfalls dafür, geben aber an, dass ihnen die erforderlichen Kapazitäten fehlen. 39,9 Prozent sind der Ansicht, diese Aufgaben sollten weiterhin in Ärztehand bleiben.

Wunsch-Leistungen der Apotheker: Medikationsmanagement, Nachversorgung ohne Rezept, Präventionsangebote, Beratung

Bei der Frage, welche Leistungen Apotheken anbieten und auch honoriert bekommen sollten, liegen klassische Apotheker-Kompetenzen ganz vorn: An erster Stelle nannten die sie erweiterte Medikationsmanagement-Programme, mit denen sich Medikationsfehler vermeiden und Therapieergebnisse verbessern lassen (83,4 Prozent). 71,6 Prozent halten es außerdem für sinnvoll, dass Apotheker regelmäßig benötigte Arzneimittel wie beispielsweise die Anti-Baby-Pille ohne wiederkehrendes Rezept aushändigen dürfen.

Zwei Drittel der Apotheker würden zudem im Bereich Prävention mehr Aufgaben übernehmen und vergütet bekommen, um gesunde Lebensgewohnheiten zu fördern. Jeder Zweite sieht regelmäßige Patientenschulungen und Gesundheits-Workshops zu Gesundheitsthemen als eine sinnvolle Aufgabe für Apotheker an.

Jeweils etwa 40 Prozent nannten darüber hinaus Beratungsleistungen für Demenzpatienten und deren Familien bzw. zur Verbesserung der psychischen Gesundheit.

Rund ein Drittel der Apotheker ist in der Ansicht, dass sie bei bestimmten Erkrankungen ohne Arztbesuch eine Diagnose stellen und Patienten mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln versorgen (34,6 Prozent), Patienten zu DiGA beraten (34,6 Prozent) oder erweiterte Impfprogramme anbieten (33,6 Prozent) dürfen und honoriert bekommen sollten.

Mit Abstand finden sich dagegen am Ende der Rangliste Leistungen wie Hautkrebsvorsorge (9,5 Prozent) und sogenannte Selbstdiagnose-Kioske wie in japanischen Apotheken, die Basis-Gesundheitschecks durchführen (5,7 Prozent).

Gast-Kommentar: Wir sind bereit, mehr zu tun

Wir in den Apotheken sehen täglich, wie wir mit unserem Fachwissen und unserer Nähe zu den Patienten eine wichtige Rolle im Gesundheitssystem spielen. Angesichts der zunehmenden Überlastung der Arztpraxen sind wir bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen. Fast 60 Prozent der Apotheker in Deutschland wünschen sich erweiterte Kompetenzen, um diagnostische und präventive Aufgaben zu übernehmen. Dies könnte die Ärzteschaft signifikant entlasten und die Gesundheitsversorgung verbessern.

Wir sind professionell, empathisch und halten die Gesundheitsversorgung und damit die kritische Infrastruktur am Laufen. Durch Medikationsmanagement, Prävention und Gesundheitsberatungen können wir nicht nur den Ärztemangel kompensieren, sondern auch die Patientenversorgung effizienter gestalten. Die positiven Erfahrungen aus England zeigen, dass dies möglich ist.

Lassen wir Apotheken ihr volles Potenzial entfalten und so das Gesundheitssystem stärken. Die Bereitschaft und das Engagement der Apotheker sind vorhanden – es ist an der Zeit, ihnen das Vertrauen und die Unterstützung zu geben, die sie verdienen. Ohne uns geht es nicht – wir sind bereit, mehr zu tun.

Jan Reuter, Inhaber der Central-Apotheke Walldürn, Beirat im Landesapothekerverband Baden-Württemberg

Methodik & Rahmendaten

Erhebung: Repräsentative Erhebung mit einem Online-Fragebogen

Erhebungszeitraum: 4.–11. Juni 2024 und 24. Juni–1. Juli 2024

Sample: Es wurde eine repräsentative geschichtete Zufallsstichprobe angeschrieben. Für die aktuelle Fokus-Frage erhielten insgesamt 12.000 Apotheker aus dem Strukturverzeichnis der Versorgung eine Einladung zur Befragung. Zusätzlich wurden 218 Apotheker angeschrieben, die regelmäßig an der Befragung teilnehmen.

Rücklauf: 211 valide Fragebögen (Rücklaufquote 1,7 Prozent). Die Ergebnisse sind repräsentativ mit einem Konfidenzniveau von 95% (Konfidenzintervall < ±7%).

Bildquelle: Header: Canva; Jan Reuter: Jan Reuter