Wirtschaftliche Stimmung der Ärzt:innen bleibt im Keller

Stimmungsbarometer: Auch 4. Quartal 2023 bringt keine Erholung

Schaubild Stimmungsbarometer: Der Pfeil zeigt auf den roten Bereich.
Die wirtschaftliche Stimmung der niedergelassenen Ärzt:innen liegt auch im 4. Quartal 2023 nur knapp über dem historischen Tief.

Die wirtschaftliche Stimmung der niedergelassenen Ärzt:innen bleibt desolat: Nach dem historischen Tiefstand im 3. Quartal konnte sich der Wert lediglich um 0,2 Punkte verbessern.

Die Einschätzung der aktuellen wirtschaftlichen Lage verschlechterte sich erneut (minus 2,7 Punkte zum vorherigen Quartal). Die Erwartung für die kommenden sechs Monate stieg dagegen um 2,5 Punkte.

Entwicklung der Stimmung in den ärztlichen Fachgruppen

In einer Fachgruppe ist jedoch eine positive Entwicklung zu verzeichnen: Die Stimmung der Zahnärzt:innen, die im Vorquartal deutlich eingebrochen war, erholte sich im 4. Quartal um 9,0 Punkte. Dagegen verschlechterte sie sich bei den Psychologischen Psychotherapeut:innen (minus 6,1 Punkte) und den Hausärzt:innen (minus 3,6 Punkte). Nahezu unverändert präsentiert sich die Stimmung der Fachärzt:innen (plus 0,6 Punkte).

Ursachen für die Stimmungsentwicklung: Vorgaben von außen, Digitalisierung und Arbeitszeit

Auch im 4. Quartal 2023 sind die Hauptfaktoren für die schlechte Stimmung in der Ärzteschaft der negative Einfluss von Entscheidungen und Vorgaben von Politik und Selbstverwaltung (80,7 Prozent) sowie die Digitalisierung (75,5 Prozent). Auf dem dritten Rang liegt in diesem Quartal die eigene Arbeitszeit, die mehr als die Hälfte der Ärzt:innen als belastenden Faktor empfinden (53,8 Prozent).

Stimmung, Lage und Erwartung im Zeitverlauf

Wirtschaftliche Lage und Erwartung in den Fachgruppen

Vergleich mit dem ifo-Geschäftsklimaindex

Der Vergleich der Indexwerte der Stimmung bei den niedergelassenen Ärzt:innen mit dem ifo-Geschäftsklimaindex zeigt auch im 4. Quartal 2023 eine ähnliche Entwicklung. Der Index der Ärzt:innen liegt weiterhin deutlich niedriger als in den Branchen des ifo-Index.

Vergleich des Stimmungsindex der Ärzt:innen mit dem ifo-Geschäftsklimaindex (Stand Dezember 2023)

Kommentar: Praxen vor dem Kollaps

Prof. Dr. med. Dr. rer. pol. Konrad Obermann, Forschungsleiter der Stiftung Gesundheit.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung schreibt aktuell auf ihrer Webseite: „Die ambulante Gesundheitsversorgung ist in der Krise“. Und hat auch gleich den Schuldigen ausgemacht – „die Politik“.

Ist es wirklich so einfach? Die selbstverwaltete Zusammenarbeit zwischen den Krankenkassen, den Krankenhäusern und den Ärzten war lange Zeit in Deutschland sehr erfolgreich und hat weltweit zumindest im Bereich der Gesundheitsfinanzierung viele Nachahmer gefunden. Das System bröckelt jedoch. Das zeigen hohe Kosten, mittelmäßige Resultate und die steigende Unzufriedenheit auf Seiten der Patienten und vor allem der Ärzte.

Über die Ursachen wird gestritten: Mischt sich die Politik zu viel ein? Werden zu wenig politische Vorgaben gemacht? Streiten sich Bund und Länder unnötigerweise? Ist die Digitalisierung schuld? Geht die Digitalisierung zu langsam? Werden zu viele Leistungen in Anspruch genommen? Werden die vulnerabelsten Gruppen nicht ausreichend versorgt? Die Diagnose ist nicht einfach, ganz sicher aber ist die Ursache nicht monokausal.

Eins jedoch ist klar: Das deutsche Gesundheitssystem ist mittlerweile hoch kompliziert, selbst Fachleute blicken nicht mehr durch. Reformen verfehlen ihre Ziele, überfällige Initiativen werden in der Bund-Länder-Diskussion zerredet. Zudem ist die aktuelle wirtschaftliche Situation in Deutschland schwierig. Auch wenn das System der gesetzlichen Krankenversicherung als eine Art „makroökonomischer Stabilisierer“ wirkt und die ärztliche Vergütung nicht direkt an die aktuelle wirtschaftliche Lage gekoppelt ist, so wirken sich gesamtökonomische Entwicklungen natürlich auch auf die ärztliche Praxistätigkeit aus.

Weiterhelfen könnte eine grundlegende Auseinandersetzung über Formen der ambulanten und stationären Versorgung. Es gibt hierzu sehr kluge Ansätze, die zum Beispiel mehr genossenschaftliche Elemente, eine stärkere Differenzierung nach gemeinschaftlich finanzierter Grundversorgung und privat finanzierter Zusatzversorgung, eine deutliche Stärkung von „Health Literacy“ und Prävention oder auch eine konsequente lokale und integrierte Gesundheitsplanung und -versorgung vorschlagen. Eine solche systemische Betrachtung mit dem zutiefst ärztlichen Auftrag der Hilfe für Schwache und Kranke zu verbinden, ist auch in schwierigen Zeiten eine lohnende Aufgabe.

Erhebung: Repräsentative Erhebung mithilfe eines Online-Fragebogens

Erhebungszeitraum: 4.–11. Dezember 2023

Sample: Für jede Berufsgruppe wurde eine repräsentative geschichtete Zufallsstichprobe angeschrieben. Für die aktuelle Befragung erhielten insgesamt 10.000 niedergelassene Hausärzt:innen, Fachärzt:innen, Zahnärzt:innen und Psychologische Psychotherapeuten aus dem Strukturverzeichnis der Versorgung eine Einladung zur Befragung. Zusätzlich wurden 1.916 Ärzt:innen angeschrieben, die regelmäßig an der Befragung teilnehmen.

Rücklauf: 1.046 valide Fragebögen (Rücklaufquote 8,8 Prozent). Die Ergebnisse sind repräsentativ mit einem Konfidenzniveau von 99% (Konfidenzintervall < ±5%).

Über das Stimmungsbarometer

Seit mehr als 15 Jahren erhebt die Stiftung Gesundheit die wirtschaftliche Stimmung der niedergelassenen Ärzt:innen in der ambulanten Versorgung. Das Stimmungsbarometer gibt differenziert Auskunft darüber, wie die niedergelassenen Ärzt:innen in Deutschland ihre aktuelle wirtschaftliche Lage einschätzen und welche Entwicklung sie in den kommenden sechs Monaten erwarten.

Die Stimmung der Ärzt:innen wird analog zum Geschäftsklima für die gewerbliche Wirtschaft des ifo Institutes (Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e.V.) erhoben: Aus den Antworten zur Einschätzung der aktuellen Lage und zur Erwartung werden zunächst Salden für Lage und Erwartung gebildet. Die einzelnen Gruppen werden dabei entsprechend ihres Anteils an der Grundgesamtheit gewichtet, um ein repräsentatives Stimmungsbild zu erhalten. Der Wert für die Stimmung der Ärzt:innen entspricht dem Mittelwert der Salden für die aktuelle Lage und die Erwartung. Mehr Details finden Sie auf unserer Seite Methodik und Berechnung.